Test Scott Patron eRIDE: Mountainbiken wie Motorrad-Trial light | Ride Magazin

2022-07-23 07:45:48 By : Ms. casey you

Ein futuristisch anmutender Carbon-Rahmen mit integriertem Federbein, moderner Geometrie und zentriertem Schwerpunkt sowie ordentlich Federweg, gepaart mit dem neusten Bosch-Aggregat und fetter 750-Wattstunden-Batterie: Das neue Patron E-Mountainbike klingt nach einem Versprechen. Doch kann Scott dieses halten?

Die ersten Bilder haben nicht zu viel versprochen, das Patron eRIDE ist auch in echt ein Hingucker. Der Rahmen ist durchdacht und sehr sauber verarbeitet. Ins Auge stechen dabei die Positionen von Motor und Federbein. Der integrierte Motor ist nach oben gedreht, das Federbein ins Oberrohr integriert. Dies ermöglicht es, Boschs lange 750-Wattstunden-PowerTube im Unterrohr zu platzieren. So leiden weder die Fahreigenschaften, noch die Handhabung bei der Demontage. Weiter sticht das Volumen des Carbon-Rahmens heraus. Dieser soll von der Front bis zum Heck mehr Steifigkeit bieten und so die zusätzliche Power des Bosch-Antriebs nicht verpuffen lassen und ein präzises Manövrieren gewährleisten.

Das integrierte Federbein ist von äusseren Einflüssen geschützt ist, der Motor hingegen könnte etwas Schmutz abbekommen, denn seine Abdeckung ist zwecks Ventilation perforiert. Der Test wird es zeigen, wie sich beides bewährt.

Das Testbike fahren wir in der Version 900 Tuned. Bei der Ausstattung (siehe Link) kommt bei fast keiner Komponente der Gedanke auf, sie sei bei diesem E-Mountainbike fehl am Platz. Einzige Ausnahme: für ein E-Mountainbike mit 160 Millimeter Federweg fällt das Reifenprofil etwas knapp aus. Reifen sind hingegen schnell ausgetauscht.

Der integrierte Dämpfer macht zu unrecht Kopfzerbrechen. Für die Abstimmung des Hinterbaus kann die Abdeckung unter dem Federbein einfach entfernt werden. Wer dabei den Drehknopf der Abdeckung nicht von Hand bedienen kann, nimmt die Ventilabdeckung der Federgabel als «Schraubendreher» zur Hilfe. Das Anbringen der Luftpumpe und Anpassen der Dampfung gehen so einfach von der Hand wie bei Mountainbikes mit nicht integrierten Stossfängern. Dämpfer und Gabel werden nach Empfehlung mit je 30 Prozent Negativfederweg abgestimmt. Dank dem am äusserem Umlenkhebel und dem Rahmen angebrachtem SAG-Indikator entfällt auch das mühsame Abmessen des Negativfederwegs.

Der zweite Abstimmungsschritt gilt dem Motor. Nach dem Einschalten begrüsst einen das Kiox-Display. Vergeblich suche ich Tasten und Touchscreen-Funktionen. Bedient wird es mittels der Bosch-Fernbedienung. Das Display fordert zum Download der Flow-App von Bosch auf. Der missmutige Gedanke, mich wieder mit solchen Apps und komplizierten Verbindungsabläufen herumschlagen zu müssen, verfliegt schnell. Der QR-Code führt zielstrebig zum App-Store, das Erstellen eines Accounts ist nichts Neues und der Verbindungsvorgang ist derart einfach, dass das auch Elektronikmuffel wie ich auf die Reihe bekommen.

Auf dem Smartphone zeigt sich schnell, anwählbar sind der ECO- und TURBO-Modus, nicht aber die Automatik-Modi TOUR+ und eMTB. So reduziere ich vorerst nur den Eco-Modus von 85 auf 70 Newtonmeter und schaube die Dynamik etwas hoch, um die Möglichkeiten zu testen. Weiter lassen sich auch die maximale Geschwindigkeit und die Unterstützungsstufe für jeden Fahrmodus verändern.

Die Abstimmungen getätigt, geht es mit dem Scott Patron raus und berghoch. Das Bike fühlt sich gut an, von der Sitzposition bis zur Unterstützung des Motors. Im Tour+ Modus schiebt das Bosch-CX-Aggregat fein bis kraftvoll, aber auch sehr unaufgeregt an. Kaum ein Ruckeln ist zwischen den Lastwechseln zu spüren und lässt einen fast vergessen, dass man ein E-Bike unterm Hintern hat. Tritt man aber stärker in die Pedale, liefert der Modus im oberen Drehbereich erstaunlich viel Unterstützung. Damit lassen sich auch Trails berghoch bestens meistern.

Der Eco-Modus ist gedrosselt hingegen kaum nützlich. Zurück auf 85 Newtonmeter Drehmoment, sind auch die Vorzüge eines E-Bikes wieder zurück, und mit gesteigerter Dynamik und Unterstützung macht der schwächste Modus auch mehr Spass. Wer diese Möglichkeiten richtig ausschöpfen will, der muss sich schon intensiver mit diesen Einstellungen auseinandersetzen, ansonsten belässt man es besser bei den Standardeinstellungen.

Das Patron zeigt sich generell sehr kletterstark und gut kontrollierbar, vor allem in steileren und technisch anspruchsvolleren Anstiegen. Der Tour+ Modus bietet auch hier ausreichend Power. Erst im fahrtechnischen Grenzbereich sind Power und Dynamik des eMTB-Modus gefragt. Das Fahrwerk bietet bei solchen Spielereien einen guten Mix aus Schlagabsorbierung und Endprogression. Kurzum, es hilft das Hinterrad am Boden und den Gripp möglichst lange aufrechtzuhalten.

Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem Genius eRIDE, wiegt das Patron rund ein Kilogramm mehr. Das zusätzliche Gewicht ist dem grossen Akku mit plus 700 Gramm, aber auch der robusteren Ausstattung, unter anderem der Fox-38-Federgabel geschuldet. Der Rahmen hingegen ist deutlich steifer und besser geworden, wiegt mit 2'970 Gramm (Grösse M) auf keinenfalls mehr.

Obwohl das Patron in Grösse L etwas über 24 Kilogramm wiegt, lässt es sich erstaunlich leicht manövrieren. Es fühlt sich an, wie beim Motorad-Trial light. Egal ob einfachere oder schwierigere Aufstiege, das Bike ist super ausgewogen, bietet lange Gripp und macht ordentlich Spass beim motorunterstützen Rumhüpfen oder überwinden von Stufen und das ganz ohne Gasgriff und Lärm.

Bergab spielt der tiefe und zentrale Schwerpunkt seine Pluspunkte aus. Das Patron liegt sehr ruhig und spurtreu auf den Trails. Der Hinterbau verarbeitet dabei sehr sensibel die feinen Schläge. Mit 30 Prozent Negativfederweg ist das Fahrwerk ziemlich komfortabel abgestimmt und perfekt, bei eher passiver Fahrweise. Ruppiges Terrain fühlt sich mit dem Twentyniner gar nicht mehr so wild an, denn das Patron bügelt selbst ruppige Trails zahm und das, ohne aufzubocken.

Die Kehrseite der weicheren Abstimmung ist, dass der Hinterbau bei härterer Fahrweise bald einmal durchschlägt. Wer die Bremsen gerne offen lässt, der tut gut daran, dem Federbein etwas mehr Luftdruck zu verpassen. Doch selbst mit 25 Prozent Negativfederweg zeigt sich der Hinterbau noch immer sehr schluckfreudig. Während das Bike in ruppigen und steilen Abfahrten sehr viel Kontrolle bietet, büsst es im Vergleich etwas an Spritzigkeit ein. Dies ist vor allem in schnellen Kurvenabfolgen spürbar, ist aber auch nicht nur negativ zu werten. Denn sollte man mal etwas übermütig werden, verzeiht das Patron auch den einen oder anderen Fahrfehler.

Die Vorbau-Lenker-Kombo «Hixon iC SL» von Syncros ist nicht nur ein Hingucker. Obwohl ich mangels Einstellmöglichkeiten und Komfort persönlich keine Vorbau-Lenker-Kombinationen mag, gibt’s am Hixon nichts zu meckern. Der Carbon-Lenker liegt wirklich gut in den Händen, sorgt für präzise Lenkbewegungen und auch ausreichend Vibrationsdämpfung.

Leicht überfordert ist jedoch die linke Hand. Sie hat neben Lenkerhalten und Bremsen auch die Variosattelstütze, das TwinLoc 2 und den Bosch-Remote zu bedienen. Wohl ist es eine Gewöhnungssache, doch auf dem Trail erwischt mein Daumen statt des Sattelstützen-Remotes einige Male den TwinLoc-Hebel. Mit gestrafftem Hinterbau und hohem Sattel fährt es sich dann nicht ganz so entspannt runter.

Die Bosch-Fernbedienung liegt dafür in bedienungsfreundlicher Distanz zum Daumen. So lässt es sich berghoch auch auf dem Trail bestens unter den vier Unterstützungsmodi hin- und herschalten.

Das Pflegeprogramm nach der Ausfahrt gilt nicht nur für den Fahrer. Um den leeren Akku 50 Prozent aufzuladen, muss man rund 2:45 Stunden einrechnen. Die vollständige Ladung benötigt sechs Stunden. Bosch bietet für die 750er Powertube nur das 4-Ampère-Ladegerät, weshalb ein schnelleres Laden aktuell noch nicht möglich ist. Wer den Akku in der Wohnung oder im Hotelzimmer laden muss, kann ihn relativ einfach entfernen. Dafür wird kurzerhand die Abdeckung unter dem Motor abgeschraubt, die Sicherung gelöst und die Powertube an der Lasche herausgezogen. Dank integrierter Akkuhülle geht das ohne viel Widerstand.

Das Pflegeprogramm geht aber noch weiter. Der Bike-Wash ist dank sauberen, runden Formen und der Systemintegration nicht sehr aufwändig. Einzig der Motor bekommt etwas Schmutz ab. Das ist weiter nicht schlimm oder schädlich, es schadet aber nicht, hin und wieder die Abdeckung runterzuschrauben und die Kühlrippen sauberzuwischen.

Mit Patron eRIDE bietet Scott nicht nur einen Hingucker. Das neue E-Mountainbike ist trotz seinen 160 Millimetern Federweg in der Kategorie Trail angesiedelt und deckt dadurch einen grossen Bereich ab. Es glänzt in Sachen Verarbeitung, Optik und Qualität und punktet mit guten Fahrleistungen bergab und berghoch. Boschs Performance-CX-Motor bietet eine tolle Leistung und erweitert in Kombination mit der grossen Batterie den Aktionsradius enorm. Wer eine bissigere Bereifung montiert, schafft im Gelände noch mehr Reserven, von denen das Patron eRIDE eh schon reichlich hat.

Das Patron eRIDE deckt die Bedürfnisse einer breiten Nutzerschaft an Trailbikern ab. Vom gemütlichen Tourenfahrer bis zum Enduro-affinen Trailbiker finden alle in diesem E-Mountainbike einen äusserst vielseitigen Begleiter für lange Touren und fahrtechnische Herausforderungen. Endurobiker mit Downhill-Hintergrund setzen aber besser auf Scotts Ransom eRIDE.

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